„Dorfliebe für alle“ und „Unteilbar Südbrandenburg“:
Nichtstun ist keine Option

Wer sich in Thüringen und Brandenburg dem gesellschaftlichen Rechtsshift entgegenstellt, hat es nicht ganz leicht. Wir haben zwei mutige Initiativen getroffen, die mit ihren Aktivitäten zeigen, wie es geht.

Zu sehen sind zwei Plakate. Auf einem steht: Wer in der Demokratie schläft wacht in der Diktatur auf
© Mobit/Dorfliebe für alle

Es ist Sommer 2023. Vier Freund:innen Anfang 20 aus dem Saale-Orla-Kreis (SOK) sorgen sich, was die bevorstehende Landratswahl für ihren Landkreis in Ost-Thüringen bedeuten wird. Im nahegelegenen Sonneberg ist gerade ein Kandidat von der AfD Landrat geworden. Der erste in Deutschland.  Die Thüringer AfD gilt laut Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem. Auch für ihren Landkreis befürchten sie Schlimmes. Am Ende des Treffens steht fest: Wir müssen etwas tun. Der Zeitplan ist eng. Bereits im Januar 2024 wird gewählt. Die Chancen für den AfD-Kandidaten stehen gut. Einen Mann, der Kontakte zu den Reichsbürgern pflegt und in einem Video mit Heinrich XIII. Prinz Reuß zu sehen ist, welcher mutmaßlich mit anderen einen Putsch in Deutschland plante. Das Quartett beschließt, sich mit anderen im Landkreis zu vernetzen. Sie wenden sich an Freund:innen und Bekannte, an die Mobile Beratung Thüringen und Aktive, die bereits Erfahrungen mit Protesten gegen Rechts in Triptis gemacht haben. Gemeinsam gründen sie das Bündnis „Dorfliebe für alle“.

Ein offener Brief ist nur der Anfang

Eine von ihnen ist Lena. Die junge Notfallsanitäterin in Ausbildung ist von Anfang an dabei. Der Saale-Orla-Kreis ist für Lena Heimat. Bewusst hat sie sich entschieden, hier zu bleiben und für ihre Ausbildung zwischen Neustadt an der Orla und Leipzig zu pendeln. Zu sehr liebt sie den Wald und die freien Flächen. Auf dem Land, da kennt man sich. Darin sieht Lena viel Potenzial. Sie will hier eine Zukunft haben und die Lebensbedingungen vor Ort gestalten – für alle. Auch für die Geflüchteten, die im Landkreis leben. Solidarität, Menschlichkeit, Verbundenheit sind Werte, die Lena und den anderen wichtig sind. Sie drücken sich auch im Namen des Bündnisses aus. Die junge Gruppe möchte nicht gegen, sondern für etwas sein. Sie will Gemeinschaft stärken und konkrete Ideen für ihren Landkreis entwickeln, in dem die Frustration seit Jahren wächst. Überalterung, Abwanderung, Vereinsamung, Fachkräftemangel. In keinem Landkreis in Thüringen verdienen die Menschen so wenig wie im SOK. Es mangelt an Ausbildungsplätzen, Krankenhäuser sind von Schließung bedroht. Viele haben das Gefühl, dass der Zusammenhalt erodiert ist, es früher besser war. „Mit ‚Dorfliebe für alle‘ setzen wir der destruktiven Entwicklung eine positive Formel entgegen“, sagt Lena. Das wurde von vielen gut aufgenommen. „Es ist nützlich, dass unser Name weder mit links noch mit rechts assoziiert wird. Wir wollen verbinden und das Gemeinsame betonen.“

Im Herbst veröffentlicht das Bündnis einen offenen Brief. Darin heißt es: „Wir sind besorgt, dass ein Kandidat außerhalb des demokratischen Spektrums gewählt werden könnte. Dies würde die Rechtsstaatlichkeit, den demokratischen Diskurs, die Menschenrechte und die Vielfalt in unserem Kreis gefährden. Der Saale-Orla-Kreis soll ein Ort des Respekts, der Vielfalt und Toleranz sein, ein Ort, der für alle Generationen, Familien, Arbeiter, Unternehmer und Fachkräfte Heimat und Zukunft bietet.“ 1622 Menschen unterzeichnen. Ein Erfolg. Endlich wird sichtbar, dass es eine andere, demokratische Position gibt. Vielen, die sich zuvor alleine gefühlt haben, macht der offene Brief Mut. „Es ist eine Energie frei geworden und das war sehr bestärkend“, erzählt Lena. 

Das Foto zeigt eine Gruppenbild von Dorfliebe für alle
© Mobit/Dorfliebe für alle

Die Gruppe wächst auf gut 20 Aktive an, darunter Menschen zwischen Anfang 20 und 60, Handwerker:innen, Studierende, Lehrer:innen und Bibliothekar:innen. Am Wochenende vor der Landratswahl organisiert das Bündnis eine Kundgebung in Schleiz, um gegen einen möglichen AfD-Landrat zu mobilisieren. 300 Menschen stehen an einem kalten Samstag auf dem Marktplatz und setzen ein Zeichen, das manchen AfD-Sympathisant:innen missfällt. In der Woche darauf erhält der AfD-Kandidat zwar die meisten Stimmen, verfehlt aber die absolute Mehrheit. Die Folge: eine Stichwahl. „Wir haben uns Herz und Kopf zerbrochen, wie wir damit umgehen sollen“, erzählt Lena. Denn der Gegenkandidat der CDU vertritt mitunter rechte Positionen, die das Bündnis ablehnt. Die Gruppe entscheidet sich für einen Wahlaufruf zur Verhinderung des AfD-Landrats und eine weitere Kundgebung. Am 28. Januar gewinnt der demokratische Kandidat der CDU mit 52,4 Prozent. 

Zeitgleich rütteln die Correctiv-Enthüllungen über ein Treffen, bei dem AfD-Politiker:innen, Nazis und Unternehmer mit einer offenkundig rechtsextremen Haltung die Vertreibung von Menschen aus Deutschland und die Aushebelung der Demokratie und des Grundgesetzes planten, Millionen Menschen aus der politischen Lethargie. Zu Beginn des Superwahljahres 2024 wird in zahlreichen Städten und im ländlichen Raum für Vielfalt und Demokratie demonstriert. 

Aktivismus als Einsatzkommando, wenn wieder was passiert

So auch im vom SOK knapp 300 Kilometer entfernten Cottbus. Am 21. Januar folgen 5000 Cottbuser:innen dem Aufruf von „Unteilbar Südbrandenburg“ gegen Rechtsextremismus. Ein Novum in einer Gegend, die zu einer Hochburg der Rechten und Rechtsextremen in Deutschland zählt. Die Demonstration erregt breite mediale Aufmerksamkeit. Auch der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke läuft mit und lässt es sich nicht entgehen, von der Bühne zu sprechen. Ein heikler Moment für die Organisator:innen. „Wir hatten das Gefühl, parteipolitisch vereinnahmt zu werden. Die Bühne war für die Zivilgesellschaft gedacht und nicht für jemanden, der wenige Tage zuvor einer Asylverschärfung zugestimmt hat“, erzählt Kat von „Unteilbar Südbrandenburg“ im Frühling 2024. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Politik an diesem Tag zuhört.“

Das Foto zeigt einen Demonstrationszug. Auf dem Transparent steht: Nie wieder Faschismus.
© Unteilbar Südbrandenburg

Kat ist 34, kommt aus der Region und ist seit ihrer Jugend antifaschistisch aktiv. Bereits in der Vorgängerinitiative „Cottbus Nazifrei“, die über 10 Jahre lang dem jährlichen Naziaufmarsch in der Stadt mit einer Demo entgegentrat, hat sie sich engagiert. Als die rechte Gruppe „Zukunft Heimat“ vor einigen Jahren ihre Kampagne nach Cottbus verlegte und alle zwei Wochen Aufmärsche stattfanden, löste sich „Cottbus Nazifrei“ auf. „Andere Aktivitäten wurden notwendig und als kurz darauf die Unteilbar-Bewegung entstand, dachten wir, das könnte eine passendere Form sein“, erzählt sie. Seither organisiert das Team regelmäßig Demonstrationen und Kundgebungen. Mal mit Vorlauf, wenn zum Beispiel Wahlen anstehen, mal als Reaktion auf politische oder gesellschaftliche Ereignisse. Sichtbar sein, mobilisieren, Rassismus nicht unkommentiert lassen, das sind die Ziele der Gruppe. Die Frage, platzieren wir auch eigene Themen oder sind wir eine Gegenorganisation, stellen sich Kat und das Team immer wieder. „Man will nicht nur gegen etwas arbeiten, man braucht selber auch eine Perspektive, wo man hin will. Aber ich verstehe uns auch als Notfallorganisation, als Einsatzkommando, wenn wieder was passiert ist. Damit diese Lücke geschlossen bleibt, sind wir da.“

Über die Jahre hat sich die Initiative professionalisiert. Demonstrationen werden auch mal in Windeseile auf die Beine gestellt. Der Instagram-Kanal wird gekonnt bespielt. Mit einer Social-Media-Kampagne, die von zahlreichen Prominenten unterstützt wurde, hat die Initiative die OB-Wahl 2022 begleitet, bei der ein AfD-Kandidat Bürgermeister zu werden drohte. Die Gruppe, zu der 10 bis 15 Aktive und ein sporadisches Unterstützer:innen-Netzwerk zählen, wird als Partnerin ernst genommen, von der Presse regelmäßig angesprochen und kooperiert mit anderen Akteur:innen in der Region.

Von anstehenden Wahlen, Plänen und unerwarteter Unterstützung

Die Jüngste im Bunde ist Ulrike. Seit einem halben Jahr ist sie dabei und noch im Onboarding-Prozess. Weil die Lage problematisch ist, wollte sie mehr als Demo-Teilnehmerin sein und hat sich der Gruppe angeschlossen. In Brandenburg wie in Thüringen finden im Frühjahr Kommunalwahlen und im September Landtagswahlen statt. In Cottbus hat sich die AfD etabliert. Sie hat ein Büro in der Innenstadt, ist in der Stadtverordnetenversammlung vertreten, bei den Kommunalwahlen könnte sie stärkste Kraft werden. Mit Straßenprotesten muss sie nicht mehr auf sich aufmerksam machen. Ihren Einfluss in der Stadt beschreiben Kat und Ulrike atmosphärisch. Manche Institutionen hätten es vor kurzem abgelehnt, Ort einer Gegenveranstaltung zu sein, aus Angst die AfD könne gewinnen und ihnen die Förderung entziehen. In der Stadtverwaltung seien manche Mitarbeiter:innen aktuell spürbar zurückhaltend, weil sie nicht wissen, wohin der Wind dreht, manche seien aber auch hinterher, Vorhaben noch vor den Wahlen umzusetzen. Die Furcht zu sprechen, aufzufallen, hat auch im SOK manche davon abgehalten, den offenen Brief zu unterschreiben. In Cottbus hofft „Unteilbar Südbrandenburg“, mit den geplanten Demonstrationen viele Menschen zu den Wahlen und einer demokratischen Stimmabgabe bewegen zu können. Auch in anderen Orten haben sich seit Anfang des Jahres Unteilbar-Gruppen gegründet. Gut möglich, dass sich „Unteilbar Südbrandenburg“ zum Schirm der Ortsgruppen in der Region entwickelt.

Zugleich schmiedet das Team neue Pläne und hat den Verein „Losmachen e.V.“ gegründet. Die Gruppe will ein Projektbüro samt Seminarraum zum Treffen und Coworking für Vereine eröffnen. Die Strukturen für zivilgesellschaftliche Organisationen sollen gestärkt werden, auch eine Monitoringstelle, die die Bedarfe der politischen Arbeit erforschen soll, ist geplant. Der Strukturwandel in der Lausitz führt auch in Cottbus zu positiven Impulsen. Fahrradwege werden ausgebaut, Bordsteinkanten abgesenkt, Leuchtturmprojekte erdacht. Gleichzeitig droht der Stadt Gentrifizierung, bleibt Rechtsextremismus in der Region ein großes Problem. Wie kann man es sich immer wieder schön machen? Was motiviert zum Dableiben? Diese Fragen treiben Kat und die anderen an. Ihr Engagement ist eine Form, das eigene Umfeld lebenswert zu machen und Rechten nicht das Feld zu überlassen.

© Unteilbar Südbrandenburg

Auch im SOK sind die anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen ein Thema. Noch im Mai wird „Dorfliebe für alle“ ein Parkfest in Neustadt an der Orla veranstalten. „Wir wollen keine Parteiwerbung machen, sondern Anlässe schaffen, zusammenzukommen. Wir wollen Austauschräume öffnen und gemeinsam herausfinden, was wir hier im Saale-Orla-Kreis brauchen. Wir glauben, dass die Menschen, die hier leben, die Expert:innen sind, um die Region zu gestalten“, sagt Lena. Das Bündnis will weiter wachsen und die Menschen im SOK vernetzen, zum Beispiel mit einer Wandergruppe und einem Frauenstammtisch.

„Auf dem Land wird sich entscheiden, ob der Faschismus gewinnt“, glaubt Lena. Dass diskriminierende Stimmen lauter werden, eine Politik, die spaltet, mitunter auch von den etablierten Parteien betrieben wird, gehört für sie zu den größten aktuellen Herausforderungen. 

Konkrete, unkomplizierte, manchmal überraschende Unterstützung aus unterschiedlichen Richtungen haben „Dorfliebe für alle“ und „Unteilbar Südbrandenburg“ in den letzten Monaten erfahren. Mal sind es Kontakte, mal Spenden, mal sind es Einzelpersonen, die einen Kuchenbasar initiieren oder eine Soli-Party, mal sind es Vereine aus Nachbarlandkreisen, mal bundesweite Organisationen und Stiftungen, die Hilfe anbieten. „Dass Stiftungen unkompliziert Geld locker machen, ist neu“, erzählt Kat. Besonders schön findet Lena, dass es in Thüringen und ostdeutschlandweit inzwischen eine Weitervernetzung gibt. 

Die Zeit scheint überreif, den Fokus auf die ländlichen Räume und seine mutigen Engagierten zu richten. Damit sich auch an vielen weiteren Orten Freund:innen zusammenfinden, für die Nichtstun keine Option ist.

Text: Elisabeth Wirth

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