Du für Berlin: richtig angekommen

Khalsa und Valentyna wagten den Neuanfang in Deutschland – mit Mut und einem starken Netzwerk im Rücken. Wie ein innovatives Ehrenamtsprogramm Teilhabe ermöglicht, Vereine kulturell öffnet und Menschen neue Perspektiven gibt.

Mehrere Menschen zusammen und spielen auf Ukulelen.
Foto: GoVolunteer

Wenn Khalsa wie jeden Mittwoch das Nachbarschaftshaus Friedenau in Berlin betritt, beginnt ihre wöchentliche Auszeit. So nennt sie es, wenn sie mit den anderen Ehrenamtlichen dafür sorgt, dass Menschen aus der Umgebung eine Anlaufstelle haben – zum Austausch, gegen die Einsamkeit oder zum Treffen mit einer Selbsthilfegruppe. “Hier erlebe ich Neues, es dreht sich mal nicht um die Familie, ich komme in Kontakt mit Menschen, die nicht wie ich aus Syrien kommen und lerne Deutsch.” Dabei war ihr Start in Deutschland alles andere als einfach. Die fünffache Mutter, die vor acht Jahren nach Cloppenburg kam, fühlte sie sich nicht willkommen. Sie trug die Verantwortung für die Familie, machte Sprachkurse, fand aber keinen Draht zu den Einheimischen, war zunehmend niedergeschlagen. Nach fünf Jahren wagte die Familie einen Neustart in Berlin. Dass dieser gelang, hat mit Khalsas Mut zu tun und einem Freiwilligen-Programm, das einen neuen Weg geht.

Porträtfoto von Khalsa
Foto:privat

So wie Khalsa in Berlin fand auch Valentyna in Brandenburg ihren Weg über das Ehrenamt. Sie kam ebenfalls mit ihrer Familie nach Deutschland – nach Krieg, Flucht und Unsicherheit. Was beide Frauen verbindet: Sie wollten nicht nur ankommen, sondern dazugehören. Möglich wurde das durch zwei Programme, die ihnen den Einstieg ins Engagement erleichterten – mit individueller Begleitung, niedrigschwelligen Angeboten und einer unterstützenden Community: “Du für Berlin” und “Du für Brandenburg” vom GoVolunteer e. V.

Start ins Engagement

Beide Projekte unterstützen Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung beim Start in ein ehrenamtliches Engagement. Teilnehmende wie Khalsa und Valentyna bringen ihr Wissen und Können ein, lernen neue Menschen kennen, sammeln praktische Erfahrungen und verbessern ihre Deutschkenntnisse. Das Besondere dabei: Sie werden Teil einer Community, die in Empowerment-Workshops gemeinsam lernt oder Ausflüge und Picknicks veranstaltet. Die Teilnahme ist kostenlos und zeitlich flexibel. Hinter dem Programm steht der Verein GoVolunteer e.V., der das Angebot nach Berlin und Brandenburg nun Schritt für Schritt in Deutschland ausrollt.
Anna Lenk von GoVolunteer beschreibt den Kern des Programms so: “Im Fokus stehen bei uns die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung. Unsere Teams sprechen diverse Sprachen und kennen die kulturellen Codes. Entscheidend ist der Dreiklang aus Gemeinschaft, persönlicher Betreuung und Lernprogrammen.”

Porträtfoto von Valentyna
Foto:privat

Mehrwert auch für die Projektpartner

Allein in Berlin arbeitet GoVolunteer mit über 170 Organisationen zusammen, in denen die Teilnehmenden sich engagieren können. Mit dabei sind Projekte aus den Themenfeldern Demokratie und Menschenrechte, Kinder- und Jugendhilfe, Feminismus, Umwelt- und Naturschutz, Wohnungslosenhilfe, Sport und Kultur, Arbeit mit älteren Menschen, Integration und Inklusion und vielen mehr.
“Es ist uns ein großes Anliegen, dass unser Programm auch etwas in den Einsatzstellen verändert. Deshalb bieten wir für die dortigen Haupt- und Ehrenamtlichen Workshops zu Themen der Diversitätsöffnung an. Es geht zum Beispiel um Einfache Sprache, unterbewusste Vorurteile oder den Umgang mit diskriminierenden Aussagen. Die Sensibilität, die dort vermittelt wird, bereichert am Ende alle”, weiß Anna Lenk. Diese Angebote zur Organisationsentwicklung macht es dann für weitere Engagierte nicht-deutscher Herkunft leichter, in diese Organisationen einzusteigen, gut anzukommen und wertgeschätzt zu werden.

Lernen mit der Community

Parallel zur freiwilligen Tätigkeit der Teilnehmenden macht GoVolunteer viele Angebote, die dort ansetzen, wo es erfahrungsgemäß für sie herausfordernd ist: Umgang mit Stress, Auseinandersetzung mit Rassismus, der Berufseinstieg oder Selbstbewusstsein entwickeln. Neben analogen Formaten lernen die Teilnehmenden auch digital. Dadurch entwickeln sie weitere Skills. Khalsa hat die Erfahrung gemacht: “In den Workshops habe ich zum Beispiel lernen können, wie ich besser mit Stress umgehen kann. Das hat mir auch bei der Erziehung meiner Kinder geholfen.”

Foto: GoVolunteer e.V.

Die richtige Ansprache

Initiativen, die Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte Angebote machen, haben mitunter Schwierigkeiten, einen Zugang zu den Communities zu bekommen. “Du für Berlin” und “Du für Brandenburg” finden viele Teilnehmenden in den Gemeinschaftsunterkünften. “Unsere direkten Ansprechpersonen sind meistens die Sozialteams. Die kennen die Bewohner:innen sehr gut, wissen, wer Deutsch lernen möchte, wer neugierig ist und sich mehr Kontakt mit den deutschen Nachbar:innen wünscht,” erklärt Anna. Teil des Erfolgsrezeptes sei es, wann immer möglich, an bestehende Angebote anzudocken. Dort gäbe es bereits eine Vertrauensbasis, auf der man aufbauen kann. Wichtig seien auch die Multiplikator:innen in den Communties, die weitererzählen, dass es unser Angebot gibt.
Im Ehrenamt können die Teilnehmenden ihre Fähigkeiten einbringen und weiterentwickeln, neue Menschen kennenlernen und ein neues Zugehörigkeitsgefühl entwickeln. Sie stellen gemeinsam mit anderen etwas auf die Beine, gewinnen Freund:innen – teilweise bleiben die Menschen über Jahre in den Projekten.

Wie neue Standorte entstehen

Was in Berlin gut funktioniert, soll auch in anderen Bundesländern Menschen unterstützen. Im wahrsten Sinne naheliegend war es, als nächstes Brandenburg in den Blick zu nehmen. 2024 ging “Du für Brandenburg” an den Start.
Dazu bauen die Kolleg:innen von GoVolunteer im ersten Schritt einen Pool von Organisationen auf, die grundsätzlich Engagierte suchen. Sie sprechen Familienzentren, Gemeinschaftsgärten und viele mehr an. Um Teilnehmende für das Programm zu gewinnen, werden Beratungsstellen recherchiert, Unterkünfte, Sprachcafés usw. Dann kommen Coaches ins Spiel, die sich um das Matching kümmern. Sie schauen ganz individuell zusammen mit der Person, die sich engagieren will, welche Einsatzstelle mit welchen Aufgaben am besten passt.

Foto: GoVolunteer e.V.

In Brandenburg, besonders in ländlichen Gebieten, erschweren weniger gut ausgebaute Angebote und begrenzte Ressourcen eine gute Begleitung von zugewanderten Menschen.  Häufig erleben diese Menschen bürokratischen Hürden, Isolation sowie psychischen Belastungen.
“Trotz dieser Herausforderungen leisten viele lokale soziale Organisationen Erstaunliches und sind motiviert, ihre Organisationen offener und diverser zu gestalten,” erläutert Anna. Durch die Kooperation mit „Du für Brandenburg“ können sie ihre Netzwerke stärken, auch wenn stellenweise noch die praktische Erfahrung in der Arbeit mit Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung fehlt. Anna erzählt: „Aus den Partnerorganisationen hören wir dann immer wieder: ‚Wow, die Person hat so viele neue Fähigkeiten mitgebracht – eine echte Bereicherung‘.“
Eine der Engagierten in Brandenburg ist Valentyna. Sie musste 2022 mit Ihrer Familie die Ukraine verlassen. Auch ihr Neuanfang im Spreewald war alles andere als leicht. Sie fühlte sich isoliert und stand vor vielen sprachlichen und sozialen Barrieren. Dann machte sie einen mutigen Schritt: Über das Programm „Du für Brandenburg“ fand sie ein Ehrenamt an einer Förderschule des AWO Bezirksverbands Brandenburg Süd in Lübbenau. Dort traf sie sich dreimal pro Woche mit einem der Schüler:innen, der einen Rollstuhl nutzt. Durch dieses Engagement konnte sie ihre Sprachkenntnisse enorm verbessern, bekam das Gefühl, tatsächlich Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.
“Céline und Anna von ‘Du für Brandenburg’ haben mir bei den ersten Schritten enorm geholfen. Céline hat mich mit der Förderschule in Kontakt gebracht, war beim ersten Kennenlernen dabei und auch später immer für mich ansprechbar”, erinnert sich Valentyna.
Über das Engagement baute sie sich ein berufliches Netzwerk auf. Inzwischen hat sie eine Festanstellung als Migrationssozialarbeiterin.
“Das Programm war mein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt. Ohne das erste Engagement hätte ich gar nicht den Mut gehabt, mich bei der Diakonie zu bewerben. Dort begleite ich jetzt andere ukrainische Menschen zum Beispiel bei Behördengängen oder praktischen Fragen rund um Wohnung und Schule.”
Bald soll das erfolgreiche Projektkonzept auch in weiteren Bundesländern umgesetzt werden.

Auch Khalsa ist nun auf der Suche nach einer Arbeit. Sie hat bereits eine Weiterbildung zur Pflegehilfe abgeschlossen, kann sich aber auch einen Job als Küchenkraft vorstellen. Ihre Kinder wissen, dass ihre Mutter zweimal die Woche, komme was wolle, ihr Ehrenamt macht und sind stolz auf sie. Khalsa: “Ich habe viel bekommen, das wichtiger als Geld ist.”

Text: Henrik Flor

GoVolunteer e.V.

Der Verein betreibt Deutschlands größte Online-Plattform und Community für ehrenamtliches Engagement. Seit 2015 bringt das soziale Start-up gemeinnützige Projekte und Initiativen mit engagierten Menschen zusammen, die helfen möchten. Rund 5.000 soziale Projekte und Initiativen sind in 350 Städten in ganz Deutschland auf www.GoVolunteer.com zu finden. Ziel des Berliner Vereins ist es, jedem Menschen die Chance zu geben, die Gesellschaft mitzugestalten. Er will mehr Menschen zu einem gesellschaftlichen Engagement motivieren und den Start ins Ehrenamt so einfach wie möglich machen. Zusätzlich soll sozialen Initiativen die Umsetzung von ehrenamtlichen Projekten erleichtert werden.

“Du für Berlin” aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds sowie durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat kofinanziert. “Du für Brandenburg” erhält seine Förderung ebenfalls aus Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und vom Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg. Darüber hinaus wird die Arbeit von GoVolunteer durch Spenden ermöglicht. 

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