In der sächsischen Kleinstadt betreiben Ehrenamtliche das Sommerbad. Mit ihrem Engagement schaffen sie nicht nur einen Ort zum Schwimmen und Erholen, sondern auch der Begegnung, der weit über den Beckenrand ausstrahlt.
Am südlichen Rand von Ostritz, unweit vom Sportplatz entfernt, liegt das MEWA-Bad. Hier riecht und klingt es nach „frischer Luft und glücklichen Menschen“, sagt Georg Salditt und lacht in die Kamera. Er gehört zum achtköpfigen ehrenamtlichen Kernteam des Sommerbades. 30 mal 15 Meter misst das Becken inmitten einer großen Freifläche, die geprägt ist von altem Baumbestand. Die Baracke, in der die Garderoben, Räume für das Team und der Verleih von Taucherbrillen, Badenudeln und Co. untergebracht sind, hat jüngst einen neuen Anstrich bekommen. Das Graffiti ist während eines Schulprojektes entstanden. Das MEWA-Bad hat eine lange Geschichte. Auch Salditts Kinder haben hier schwimmen gelernt. Das Sommerbad war für seine Tochter so prägend, dass sie ihren ersten Blick auf die Ostsee mit den Worten kommentierte: „Das ist ja eine große MEWA.“
2016 stand der Ort, der für viele Ostritzer so zentral in den Sommermonaten ist, vor dem Aus. Der Stadt fehlte das Geld, um ihn regulär weiterzubetreiben. Doch der Stadtrat hatte eine Idee: Falls sich Menschen finden, die das MEWA-Bad übernehmen wollen, würde die Stadt das Sommerbad mit einem finanziellen Beitrag weiter unterstützen.
Das MEWA-Bad wird gerettet, ein neues Miteinander wächst
Es fand sich ein bunter Haufen, erzählt Salditt, der es gerade für die jungen Familien bedauert hätte, wenn es das Freibad nicht mehr gäbe. Es meldeten sich Menschen, die zuvor nicht viel miteinander zu tun hatten. Manche von ihnen ließen sich zu Rettungsschwimmer:innen ausbilden, andere übernahmen die Kasse oder kümmerten sich um die Außenanlagen. Viele Kosten wurden durch das ehrenamtliche Engagement eingespart. Für Ostritz war die Initiative in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Nicht nur war die Badesaison 2016 gerettet. Um das MEWA-Bad zu betreiben, kamen „Menschen mit unterschiedlichen Historien und Kompetenzen zusammen und zogen an einem Strang“. 15-jährige Schüler:innen und 80-jährige Rentner:innen, Besserverdienende und Arbeitslose, Familienväter und Alleinstehende. Die Begegnungen und die gemeinsame Arbeit im Bad führten zu einem spürbar anderen Miteinander in der Stadt, sie trugen zu einer positiven Atmosphäre bei, der Zuversicht, etwas bewegen zu können. Das Engagement hat über die Jahre die Menschen einander näher gebracht und die Vernetzung untereinander gefördert. Jahrelang stand das Veranstaltungsequipment – Biertische und Bänke, eine Anlage – die meiste Zeit ungenutzt im Vereinshaus, erzählt Salditt. Dann sprach sich herum, dass das Equipment an alle Ostritzer gegen eine kleine Gebühr oder auch mal kostenlos verliehen wird. Das Angebot wird inzwischen rege genutzt. Es scheinen nicht in erster Linie Informationen zu sein, die zuvor gefehlt hatten, vielmehr scheint das aufgeblühte Engagement in Ostritz auch über den Kreis der Engagierten hinaus Berührungsängste abgebaut zu haben. „Durch solche Angebote haben die Menschen mehr das Gefühl, es ist auch Vieles gut“, sagt Salditt.
Gemeinsam etwas bewegen können: Ostritz wehrt sich gegen Rechtsextreme
Hört man dem engagierten Mitfünfziger zu, wird deutlich, wie relevant Selbstwirksamkeit in einem Ort wie Ostritz ist. Denn wie überall gibt es auch hier Mutlose und Frustrierte. Die Stadt mit ihren 2308 Einwohner:innen liegt im südlichen Sachsen, an der Grenze zu Polen. Auch Tschechien ist nicht weit entfernt. Die Region hat mit den typischen Folgen des Strukturwandels nach der Wende zu tun. Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 hat sich die AfD in Ostritz nicht aufgestellt, holte am gleichen Tag bei der Europawahl jedoch 33 Prozent. Im Landkreis Görlitz immer noch das zweitniedrigste Ergebnis. Wie die Wahlen zeigen, finden rechte Positionen, wie sie die AfD vertritt, hier so viel Zuspruch wie sonst nirgendwo in Deutschland.
Schon einmal geriet Ostritz in die Medien. Das war 2018, als Rechtsextreme in einem ehemaligen Hotel ein Festival und andere Events für die rechtsextreme Szene veranstalteten. Die Stadt begann sich zu wehren. Man organisierte Friedensfeste für Demokratie und Weltoffenheit, wann immer die Rechstextremen anreisten. Als 2019 bei dem rechtsextremen Festival Alkoholverbot herrschte, kauften die Ostritzer den gesamten Alkoholvorrat in der Stadt auf. „Ja, das war eine schöne Aktion“, erinnert sich Salditt und fügt amüsiert hinzu: „Das geht auch nur in einer Stadt mit nur einem Supermarkt“. Die Friedensfeste zeigten Wirkung, die Rechtsextremen verstanden bald, dass sie nicht willkommen sind.
Salditt ist vielfältig engagiert, er gehört auch zum Team Friedensfeste und sitzt seit 2019 im Stadtrat. Ihm ist es wichtig, dass Menschen ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und ihr Umfeld gestalten. Das Deutsche Zentrum für Astrophysik, das sich seit Anfang 2024 in Görlitz im Aufbau befindet, begrüßt er. Denn es wird „viele neue pfiffige Leute, die Lebensfreude ausstrahlen, in die Region ziehen“, sagt er.
Da geht noch mehr: Das MEWA-Bad wird ein Ort der Begegnung
Das Team des MEWA-Bads hatte nach der ersten Saison 2016 das Gefühl, dass hier noch mehr geht als nur Freibad. Sie begannen, Filmabende mit anschließenden Gesprächsrunden, Vorträge, Theaterabende und Feste zu organisieren. Die Filmabende waren so erfolgreich, dass andere Vereine wie die Freiwillige Feuerwehr das Format kurzerhand übernahmen. Hin und wieder gibt es auch politische Veranstaltungen im MEWA-Bad. Zwei Tage vor der Kommunal- und Europawahl war Juniorprofessorin Theres Matthieß zu Gast, um über Wahlversprechen in Deutschland zu referieren. Über mehr Besucher:innen hätte Salditt sich gefreut. Knapp 30 Menschen waren an jenem Abend gekommen, darunter auch Bewohner:innen, die man eher zum Unsichtbaren Drittel zählen würde. Dass das den Veranstaltungen gelingt, ist durchaus ein Erfolg und spricht für das Ansehen, das das Bad in der Stadt genießt. Dennoch: Das MEWA-Bad sei trotz der überparteilichen Veranstaltungen mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten ein „ideologiefreier Ort“, betont Salditt. Hier sollen sich Menschen begegnen, keine Lager. Ein Freibad sei ein Ort für alle, im Freibad seien alle glücklich, sagt Salditt. Außerdem ist ihm wichtig, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt und dass man den Kontakt auch zu den Menschen behält, die skeptisch sind, enttäuscht oder die AfD wählen. Er glaubt, „wir müssen etwas gemeinsam erleben, damit alle Menschen spüren, dass man etwas machen, etwas bewegen kann“.
Am 2. Juni wurde die Saison 2024 im MEWA-Bad eröffnet. Es gibt mehrere neue Rettungsschwimmer, die Dienste sind weitestgehend verteilt. In den Ferien wird das Sommerbad jeden Tag geöffnet sein. Auch wenn es ein bisschen aufregend ist, ob man genug Leute für unter der Woche findet, gibt es bisher immer Menschen, denen das MEWA-Bad so am Herzen liegt, dass sie sich hier auch engagieren wollen. 35 Menschen sichern in diesem Jahr den Betrieb. Daneben bietet das Bad auch Möglichkeiten, sich punktuell einzubringen, Veranstaltungen zu organisieren oder dabei Getränke auszuschenken. Eine Hürde muss das Bad in diesem Jahr noch nehmen. Die Folie muss erneuert werden. 20.000 Euro fehlen noch, um den Betrieb für weitere 30 Jahre zu sichern.
Worauf freut sich Georg Salditt 2024 besonders? 20 Kinder werden im MEWA-Bad in diesem Sommer schwimmen lernen und das Seepferdchen erreichen. Und beim Public Viewing, so hofft er, werden die Bewohner:innen der Stadt bis ins EM-Finale zusammenkommen.
Text: Elisabeth Wirth